LAG Mainz: Keine außerordentliche Kündigung wegen Urkundenfälschung ohne Eigennutz


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Das Landesarbeitsgericht Mainz – 10 Sa 138/08 – hat entschieden, dass eine außerordentliche Kündigung wegen Urkundenfälschung ohne Eigennutz nicht gerechtfertigt ist. Vor einer solchen Kündigung sei regelmäßig eine Abmahnung erforderlich.


Aus dem Urteil (bearbeitet und gekürzt):

Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 17.09.2007 sowie über die Weiterbeschäftigung des Klägers und Zahlungsansprüche aus Annahmeverzug.

Der Kläger (geb. am 08.07.1955, ledig) ist seit dem 15.08.1970 im Betrieb der Beklagten als Personalleiter zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt € 3.947,90 angestellt. Die Beklagte beschäftigt ca. 120 Arbeitnehmer; es besteht ein Betriebsrat.

Am 27.08.2007 unterzeichnete der Geschäftsführer der Beklagten den schriftlichen Arbeitsvertrag (Bl. 40- 45 d. A.) für die gewerbliche Arbeitnehmerin L. K., die ab dem 01.10.2007 unbefristet eingestellt werden sollte. Der Vertragstext bestand aus sechs Seiten, die mit einer Heftklammer fest verbunden waren. Auf Seite 1 des Vertragstextes heißt es u.a.:

„§ 1 Tätigkeit und Änderungen der Tätigkeit

(1) Der Arbeitnehmer wird im gewerblichen Bereich wie folgt eingestellt:

Betriebsabteilung: Metallkapselbereich/ Musterfertigung

Tätigkeit: Fertigung von Musterkapseln

(2) Der Arbeitgeber hat das Recht Art und Umfang der dem Arbeitnehmer zugewiesenen Aufgaben jederzeit in einem zumutbaren Rahmen einzuschränken oder zu erweitern und dem Arbeitnehmer auch andere gleichwertige zumutbare, seinen Fähigkeiten und Berufskenntnissen entsprechende Aufgaben zu übertragen. …“

Der Technische Leiter der Beklagten leitete dem Betriebsrat gemäß § 99 BetrVG den Vertragstext mit der Bitte um Zustimmung zur beabsichtigten Einstellung der Arbeitnehmerin zu. Der Betriebsrat stimmte der beabsichtigten Einstellung am 06.09.2007 unter der Voraussetzung zu, dass in den Arbeitsvertrag folgender Zusatz aufgenommen wird: „Mithilfe in Lackherstellung bei Bedarf“.

Daraufhin tauschte der Kläger mit Wissen des Technischen Leiters Seite 1 des Vertragstextes ohne Rücksprache mit dem Geschäftsführer aus und ergänzte die Klausel in § 1 (1) um den vom Betriebsrat geforderten Zusatz wie folgt:

„§ 1 Tätigkeit und Änderungen der Tätigkeit

(1) Der Arbeitnehmer wird im gewerblichen Bereich wie folgt eingestellt:

Betriebsabteilung: Metallkapselbereich/ Musterfertigung

Tätigkeit: Fertigung von Musterkapseln

Desweiteren verpflichtet sich Frau K., wenn dies betrieblich erforderlich wird, auch in der Abteilung Lackherstellung zu arbeiten.

(2) …“

Der so abgeänderte Arbeitsvertrag wurde der Arbeitnehmerin K. zur Unterschrift vorgelegt, die den eingefügten Zusatz am 10.09.2007 beanstandete. Der Kläger räumte in nachfolgenden Gesprächen vom 11. und 12.09.2007 die Abänderung der Vertragsurkunde ein und erklärte, ihm sei bewusst, dass er einen Fehler begangen habe, dies sei ohne böse Absicht geschehen, es werde in Zukunft nicht mehr vorkommen.

Nach Anhörung des Betriebsrates, der der Kündigung widersprochen hat, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 17.09.2007 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30.04.2008. Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am 24.09.2007 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage. Er begehrt außerdem seine Weiterbeschäftigung und die Zahlung von Annahmeverzugslohn für die Monate September und Oktober 2007. (…)

Entscheidungsgründe:
(…) Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis und in der Begründung vollkommen zutreffend festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 17.09.2007 mit sofortiger Wirkung noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung zum 30.04.2008 aufgelöst worden ist. Der Kläger kann deshalb seine Weiterbeschäftigung und Annahmeverzugslohn für die Monate September und Oktober 2007 in rechnerisch unstreitiger Höhe beanspruchen. (…)

Es kann dahinstehen, ob das Verhalten des Klägers den strafrechtlichen Tatbestand der Urkundenfälschung im Sinne des § 267 StGB erfüllt, der voraussetzt, dass der Täter die Absicht gehabt hat, durch die Tathandlung im Rechtsverkehr zu täuschen. Ob vorliegend auch der subjektive Tatbestand einer Urkundenfälschung erfüllt ist, wäre strafrechtlich danach zu beurteilen, was der Kläger mit der Einfügung des Zusatzes in den Arbeitsvertrag bezweckt oder welches Ziel er insoweit verfolgt hat. Jedenfalls kann nicht ohne Weiteres von einer Straftat des Klägers ausgegangen werden, wie die Berufung meint. Arbeitsrechtlich kommt es – wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat – sowohl bei einer außerordentlichen als auch bei einer ordentlichen Kündigung nicht auf die strafrechtliche Wertung, sondern darauf an, ob dem Arbeitgeber wegen des Verhaltens des Arbeitnehmers nach dem gesamten Sachverhalt die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch zuzumuten ist.

Das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 17.09.2007 unwirksam ist. Die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB liegen nicht vor, weil die Kündigung unverhältnismäßig ist. Auch nach Auffassung der Berufungskammer wäre im vorliegenden Einzelfall eine Abmahnung als mildere Möglichkeit der Reaktion auf das Fehlverhalten des Klägers angemessen und ausreichend gewesen.

Nach der bereits vom Arbeitsgericht zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der auch die Berufungskammer folgt, ist eine Abmahnung auch bei Handlungsweisen, die den sog. Vertrauensbereich berühren, nicht stets entbehrlich, sondern notwendig, wenn ein steuerbares Verhalten in Rede steht und erwartet werden kann, dass das Vertrauen wiederhergestellt wird. Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen. Eine Abmahnung hat nicht stets schon dann Vorrang vor einer Kündigung, wenn eine Wiederholung des pflichtwidrigen Verhaltens aufgrund der Abmahnung nicht zu erwarten steht. Bei besonders schwerwiegenden Verstößen ist eine Abmahnung grundsätzlich entbehrlich, weil in diesen Fällen regelmäßig davon auszugehen ist, dass das pflichtwidrige Verhalten das für ein Arbeitsverhältnis notwendige Vertrauen auf Dauer zerstört hat . Eine Abmahnung ist jedoch erforderlich, wenn es sich um ein steuerbares Fehlverhalten handelt, das bisherige vertragswidrige Fehlverhalten noch keine klare Negativprognose zulässt und deswegen von der Möglichkeit zukünftigen vertragsgerechten Verhaltens ausgegangen werden kann.

Aufgrund der vorliegenden Umstände des Einzelfalls war eine Abmahnung des Klägers nicht entbehrlich. Das Arbeitsgericht hat nach dem unstreitigen Sachverhalt eine Pflichtverletzung des Klägers bejaht, weil er die vom Geschäftsführer der Beklagten ausgestellte Urkunde, nämlich den Arbeitsvertrag mit der gewerblichen Arbeitnehmerin L. K. nachträglich – ohne dessen Wissen und folglich ohne dessen Zustimmung – abgeändert hat. Er hat die Vertragsklausel, die die geschuldete Tätigkeit der Arbeitnehmerin regelt, um den Zusatz „Desweiteren verpflichtet sich Frau K., wenn dies betrieblich erforderlich wird, auch in der Abteilung Lackherstellung zu arbeiten“ eigenmächtig ergänzt.

Das Arbeitsgericht hat zu Gunsten des Klägers berücksichtigt, dass er den Arbeitsvertrag nicht aus Eigennutz abgeändert hat. Der Kläger wollte sich nicht auf Kosten der Beklagten bereichern oder sonstige Vorteile verschaffen. Das ist nicht zu bemängeln.

Die Auffassung der Beklagten, es spiele keine Rolle, ob der Kläger eigennützig, fremdnützig oder aus seiner Sicht sogar in ihrem Interesse gehandelt habe oder zu handeln glaubte, korrespondiert nicht mit der gesetzlichen Vorgabe, nach der „alle“ Umstände des Einzelfalls Bedeutung haben können. Das Gleiche gilt für das Argument der Beklagten, es sei nicht zu berücksichtigen, dass der Kläger den Fehler – als der Kündigungsvorwurf erhoben wurde – unumwunden zugegeben und zugleich erklärt hat, dies werde nie wieder vorkommen.

Der Kläger hat seine Tätigkeit für die Beklagte 37 Jahre lang beanstandungsfrei ausgeübt. Er hat den Vertragstext „ohne böse Absicht“ geändert, um dem Wunsch des Betriebsrates auf Aufnahme des Zusatzes zu entsprechen. Dabei handelte er in dem Glauben, dass die Aufnahme dieses Zusatzes, der den Umfang des in § 1 (2) des Vertrages abstrakt umschriebenen Direktionsrechts der Beklagten lediglich konkretisierte, vom Willen des Geschäftsführers gedeckt sei.

Der gegen den Kläger erhobene Vorwurf, liegt letztlich in einer Verkennung des Umstandes, dass er einen vom Geschäftsführer unterschriebenen Vertrag auch dann nicht ändern bzw. ergänzen darf, wenn die Änderung für die Beklagte keine Nachteile mit sich bringt. Der Kläger glaubte, wenn auch irrigerweise, so handeln zu dürfen, wie er es tat. Das ist ein Umstand, der es der Beklagten erlaubt, weiterhin Vertrauen in den Kläger zu setzen. Auch die Tatsache, dass der Kläger sein Fehlerhalten unumwunden eingeräumt und erklärt hat, dies werde nie wieder vorkommen, ist ein Aspekt der geeignet ist, die Möglichkeit vertrauensvoller Zusammenarbeit in der Zukunft in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen.

Nach alledem sind auch aus Sicht der Berufungskammer keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger sich eine Abmahnung in dieser Sache nicht hätte zur Warnung dienen lassen.

Soweit die Beklagte mehrfach auf die „herausgehobene“ und „verantwortungsvolle“ Position des Klägers abhebt, ergibt sich daraus nicht allein die Unzumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung, nachdem ihm ein einmaliger Fehler unterlaufen ist und zu keinem Zeitpunkt der Vorwurf erhoben wurde, der Kläger habe sich selbst bereichern oder in sonstiger Weise einen persönlichen Vorteil verschaffen wollen. Auch der Hinweis der Beklagten darauf, dass „ihr“ Vertrauen in die Integrität des Klägers unwiederbringlich zerstört sei, hilft nicht weiter. Bei der Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist, ist ein objektiver Maßstab anzulegen, und nicht ausschließlich auf den subjektiven Standpunkt des Kündigungsberechtigten abzustellen. Das Verhalten des Klägers gibt bei objektiver Betrachtung berechtigten Anlass zu der Annahme, dass eine Abmahnung geeignet und nach dem ultima-ratio-Prinzip ausreichend gewesen wäre, künftige Pflichtverletzungen auszuschließen.

Das Arbeitsverhältnis wurde auch nicht durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung der Beklagten zum 30.04.2008 aufgelöst. Diese ist gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozialwidrig und daher gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam. Auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.

Die Kündigung ist nicht durch Gründe im Verhalten des Klägers bedingt. Auch der Ausspruch einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung bedarf nämlich regelmäßig einer vorherigen Abmahnung. Wie oben gezeigt, war vor Ausspruch der Kündigung eine Abmahnung erforderlich. Daher konnte auch die hilfsweise ordentliche Kündigung keinen Bestand haben. (…)

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